1871 - 1918

Rheine in der Zeit des Kaiserreiches

In den drei „Einigungskriegen 1864, 1866 und 1870/71 hat Preußen gezeigt, dass es den militärisch und politisch stärksten deutschen Teilstaat darstellt.

Mit der Proklamation des preußischen Königs zum deutschen Kaiser im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles übernimmt es auch förmlich die Führungsrolle in Deutschland.

 

Das 1896 errichtete Kaiser-Wilhelm-Denkmal

 

Dies bedeutet für die preußischen Gebiete und damit auch für Rheine, dass in der Verwaltungsorganisation kaum Veränderungen eintreten. Eine politische Veränderung stellt die Einrichtung des Reichstages ein, der zusammen mit dem von den früher regierenden Fürsten dominierten Bundesrat die Legislative ausübt. Dieser Reichstag wird von allen Männern über 25 Jahren nach den Regeln des Mehrheitswahlrechtes gewählt. Für die kommunalen Wahlen und die Wahl des preußischen Abgeordnetenhauses gelten nach wie vor die das Dreiklassenwahlrecht, das die Stimmen der wohlhabenden Wähler deutlich stärker gewichtet als die der niedrigen Einkommensgruppen. Das Mehrheitswahlrecht begünstigt die Entwicklung von politischen Parteien auch in Rheine. Entsprechend den konfessionellen Mehrheitsverhältnissen erhalten hier die Kandidaten der Zentrumspartei bei allen Wahlen im Kaiserreich die Mehrheit.

 

Anfänge der Parteien

Die Details der Frühgeschichte der Zentrumspartei in Rheine sind bisher nicht erforscht. Als sich in den siebziger Jahren Auseinandersetzungen im Rahmen des Kulturkampfes auch in Rheine abspielen, erscheinen diese als spontane Volksbewegungen, ohne dass der Einfluss einer politischen Organisation erkennbar ist. Um die Jahrhundertwende stellt sich die Zentrumspartei als eine Organisation dar, der es offenbar nicht immer gelingt, die Interessen der landwirtschaftlichen und der industriellen Wähler nahtlos miteinander zu verknüpfen.

Die Sozialdemokratie ist nach 1890 trotz der förmlichen Aufhebung des „Sozialistengesetzes“ noch vielen Repressionen und Schikanen ausgesetzt. Die 1898 gegründete Ortsgruppe Rheine stellt bis zum Ende der Kaiserzeit gegenüber der Zentrumspartei jedoch kein wirkliches Gegengewicht dar.

Schon 1866 ist das Königreich Hannover von Preußen annektiert worden; dies bedeutet für Rheine den Verlust der ungünstigen Grenzlage und eine Verbesserung der Verkehrsverbindungen nach Westen, Norden und Osten. Markantester Ausdruck dieser Neuerungen ist der Bau des Dortmund-Ems-Kanals kurz vor der Jahrhundertwende. Aber auch das Eisenbahnnetz wird nun verdichtet und um etliche Nebenstrecken erweitert. Parallel dazu erfolgt der Ausbau der Landstraßen in alle Himmelsrichtungen.

 

Dominanz der Textilindustrie

Was sich in der ersten Hälfte des Jahrhunderts als Veränderung auf wirtschaftlichem Gebiet schrittweise abzeichnete, gewinnt nun eine neue Entwicklungsgeschwindigkeit: die Textilindustrie wird der wichtigste Wirtschaftszweig der Stadt. Die meisten neuen Spinnereien und Webereien entstehen auf der rechten Seite der Ems, gleichzeitig oder kurz darauf wachsen neue Arbeiterwohnviertel aus dem Boden, vielfach außerhalb der bisherigen Stadtgrenzen.

Was sich in dieser Zeit an Maschinenbauunternehmen entwickelt, ist vielfach als Zulieferbetrieb für die Textilindustrie zu betrachten. Neuerungen sind auch im Bereich der Stadttechnik erforderlich, um die Bedürfnisse der wachsende Bevölkerung befriedigen zu können.

 

Zuwanderung aus den Niederlanden

Während in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die „Hollandgängerei“ deutscher Arbeiter charakteristisch ist, kippt die Richtung der Arbeitskräftewanderung nun um. Seit etwa 1880 machen niederländische Arbeiter einen Großteil der Zuwanderung in die Stadt aus. Da sie überwiegend evangelisch sind, ergibt sich schon kurz nach Errichtung der ersten katholischen Kirche auf der rechten Seite der Ems die Notwendigkeit, hier auch eine evangelische Kirche zu errichten.

Der Beginn des Ersten Weltkrieges wird in Rheine ähnlich begeistert aufgenommen wie in den meisten übrigen Gebieten des Deutschen Reiches. Aufgrund der von den Kampfschauplätzen entfernten Lage werden die Kriegshandlungen selbst nicht unmittelbar erfahrbar. Viele Familien sind jedoch von den Einberufungen ihrer Männer oder Söhne betroffen und in Verlaufe des Krieges zeigen sich dessen Auswirkungen immer deutlicher im Alltagsleben der Stadt, nicht zuletzt im starken Anstieg der Lebensmittelpreise 1917. Einzelne Stimmen äußern sich unzufrieden über die Dauer des Krieges, konkrete Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung oder das politische Leben hat dies jedoch bis zum Ende des Jahres 1918 nicht.